Und dann war es so weit: Wir segelten in den Südwesten der Insel, nach Vieux Fort. Unser Treffpunkt mit meinem Bruder und seiner Familie. Vieux Fort ist ehrlich gesagt kein Ort, der auf vielen Postkarten auftaucht. Viel zu sehen gibt’s hier nicht, und die meisten Segler nutzen die Gegend eher als praktischen Ankunfts- oder Abholpunkt. Auch wir hatten genau das geplant. Proviant auffrischen, Crew aufnehmen, weitersegeln.
Vieux Fort selbst erkundeten wir natürlich auch ein wenig. Zu Fuß durch den kleinen Ort, um noch ein paar Vorräte aufzustocken. Viel ist hier wirklich nicht los, aber die Menschen waren offen, hilfsbereit und neugierig. Natürlich fielen wir ziemlich auf – unsere helle Haut und blonde Haare. Aber das Lächeln, das uns begegnete, war ehrlich. Nach einer Weile nimmt man das Beobachtetwerden mit einem entspannten Schulterzucken und einem Lächeln zurück.
Wie so oft überraschte uns das Leben unterwegs mit einer kleinen Geschichte.
Schon bei unserer Ankunft kam ein junger, freundlicher Einheimischer mit seinem Boot auf uns zu. Er grinste, stellte sich mit ausgestreckter Hand als Shan vor – und dann, fast nebensächlich: „But you can call me „All-Inclusive“.“ 😄
Den Spitznamen hatte er von seinen Freunden bekommen, und wir begriffen schnell, warum. Shan bot uns buchstäblich alles an: eine geführte Inselrundfahrt, Taxifahrten, frisches Obst, Grillabende am Strand, Hilfe beim Einkaufen, Flughafentransfer, Organisation eines Geburtstags (falls gewünscht), vielleicht sogar den Wetterbericht fürs nächste Jahr – alles dabei.
Für zwei, drei Dinge nahmen wir seine Dienste gerne in Anspruch. Sehr praktisch, sehr unkompliziert. Unter anderem für die Ankunft meines Bruders. Shan, sein Freund und Jakob holten die ganze Familie direkt am Flughafen ab. Mit Gepäck und doppelter Fahrt lieferten sie alle bis an unsere Badeleiter. Natürlich gegen einen kleinen Obolus, aber ganz ehrlich: Wer kann schon behaupten, sein Airport-Shuttle sei unter anderem ein Boot gewesen?
Da es nicht viele Flüge nach St. Lucia gibt, wussten wir ziemlich genau, wann unser Besuch landen würde. Und tatsächlich: Von unserem Boot aus konnten wir ihr Flugzeug bei der Landung beobachten. Unsere Mädels standen wie aufgeregte kleine Flughafenkontrolleure an Deck, hielten Ausschau nach dem Flieger und zählten die Minuten bis zur Ankunft ihrer Cousins und Cousine. Die Freude war riesig!
Immer wenn wir Besuch aus Europa bekommen, machen wir uns schon im Vorfeld Gedanken – und ehrlich gesagt auch eine ganz ordentliche Liste – was uns die Gäste mitbringen dürfen und sollen. Von Ersatzteilen für den tropfenden Wasserhahn über spezielles Schmiermittel bis hin zu heißgeliebten Lebensmitteln, die wir auf den Inseln einfach nicht finden. Ganz oben auf der Liste: Vorarlberger Bergkäse und Käsknöpflekäse – für die Seele! Dazu Milka-Schokolade für Jakob, Knusperflocken für die Mädels (und mich!), Roggenmehl für das selbstgebackene Brot, ein Glas Bautzner Senf (oder zwei)… ach, die Liste ist lang. Wenn die Taschen ausgepackt werden, fühlt es sich jedes Mal an wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. 😄
Da wir wissen, dass das Leben an Bord, besonders bei Wellengang, erst einmal eine kleine Umstellung ist, planen wir die ersten Tage mit Gästen immer ganz bewusst vor Anker ein. Zeit zum Ankommen, Akklimatisieren und sanften Einpendeln aufs karibische Leben. Und das war in diesem Fall eine sehr gute Idee: Während in Europa tiefster Winter herrschte, hatten wir hier rund 30 Grad, Sonne satt und türkisblaues Wasser. Ein Temperaturwechsel, der nicht nur den Kreislauf, sondern auch das Zeitgefühl ordentlich durcheinanderbringt. 😄
Also ließen wir es ruhig angehen: an einem traumhaften, fast menschenleeren Strand. Das Highlight: ein typisch lokales Essen, organisiert von – na klar – Shan alias „All-Inclusive“. Er fuhr mit dem Boot an, brachte alles in einer riesigen Kühlbox: warme Speisen, kaltes Bier, frisch gemixte Säfte. Wir probierten geröstete Kochbananen, Roti mit Gemüse und Fisch und Hühnchen. Einfach, ehrlich, köstlich und mit viel Liebe gekocht. Genau so lernt man ein Land kennen. Und für die Kinder? Eis mit Smarties! Es gab nicht mal eine funktionierende Bar am Strand, geschweige denn ein Restaurant – aber Shan machte’s möglich. Und wir saßen am Strand, mit Blick auf’s Meer, und waren einfach nur dankbar.
Kurz gesagt: Auch wenn Vieux Fort für viele nur ein Zwischenstopp ist, wurde es für uns ein echter, herzlicher Einstieg in die gemeinsame Zeit mit der Familie – mit Sand zwischen den Zehen und einem „All-Inclusive“, der seinem Namen wirklich alle Ehre gemacht hat.
Dann war es so weit: Die erste gemeinsame Segeltour mit unserem Besuch stand an. Innerlich wahrscheinlich genauso aufgeregt wie wir, machten sich unsere Gäste bereit – und los ging’s Richtung Pitons. Drei wundervolle Segelstunden bei perfektem Wind, idealem Wetter und genau der richtigen Menge Gischt im Gesicht. Zehn Leute an Bord – und niemand wollte tauschen. Alle genossen die Fahrt zu diesen beiden majestätischen Vulkankegeln, die wie zwei schlafende Giganten aus dem Meer ragen.
Natürlich wollten wir unserem Besuch alles zeigen, was wir an St. Lucia so ins Herz geschlossen hatten: Die Schnorchelplätze rund um den Gros Piton, mit bunten Korallen und unzähligen neugierigen Fischen, unsere Mango- und Kokosnuss-Fundstellen in der Nähe des Petit Piton (die Kids wurden zu wahren Kletterkünstlern… und mein Bruder <3), und natürlich unseren Strand in der Bucht von Soufrière, inklusive Lagerfeuer bei Sonnenuntergang.
Gemeinsam mit unserem Besuch erkundeten wir auch die Umgebung von Soufrière. Allen voran den berühmten Sulphur Springs Park. Den einzigen „Drive-In Vulkan“ der Karibik. Und ja, man fährt tatsächlich mit dem Auto oder Minivan direkt hinein! Der Schwefelgeruch war… nennen wir es markant. 😄 Und das Schlammbad? Ein echtes Abenteuer. Schwarzgrauer Schlamm, angeblich hautverjüngend und heilend und ganz sicher schweißtreibend beim Wiederabwaschen. Nach dem Bad ging’s unter einen der warmen Wasserfälle, um sich abzuspülen. Eine Art Naturdusche, die bei den Kids für kreischende Begeisterung sorgte. Das Fazit: Mega cool, unvergesslich und unsere Klamotten? Naja. Einige Oberteile schafften es trotz mehrfacher Handwäsche nicht mehr zurück an Bord. Möge der Schlamm mit ihnen sein. 😄
Ein weiteres Highlight war der Besuch der Bat Cave. Einer kleinen Felsspalte ganz in der Nähe der Pitons, in der sich bei Sonnenuntergang hunderte Fledermäuse sammeln.
Apropos Fledermäuse: Die beschränken sich übrigens nicht nur auf Höhlen. Uns wurde schon mehrfach von anderen Seglern erzählt, dass sie nachts gerne mal Obst vom Boot klauen. Und tatsächlich: Auch wir durften (oder mussten?) diese Erfahrung machen. Eines Morgens, meine Schwägerin war schon früh wach, fand sie unter dem Obstnetz auf dem Deck eine Spur aus schwarzen Kernen und zerfetzten Fruchtstücken. Unsere Papaya, die oben im Netz reif auf ihren Einsatz wartete, war über Nacht ganz offensichtlich „gehörig angebissen“ worden – von nächtlichen Flattergästen! Die Kinder fanden’s großartig: „Die Fledermäuse waren da!“ Für sie fast spannender als Delfine. 😄
Nach all den Erlebnissen rund um Soufrière segelten wir – na gut, motorten wir – weiter nach Marigot Bay. Der Wind war im Schatten der Insel zu unbeständig für echtes Segelvergnügen. Aber niemand ließ sich die Stimmung verderben. Die Küstenlinie entlangzugleiten, grün und üppig bewachsen, mit kleinen Buchten, die wie aus dem Bilderbuch schienen, das war Erlebnis genug.
Marigot Bay selbst ist klein, aber fein und gilt als eine der sichersten Naturbuchten der Karibik. Früher versteckten sich hier Piraten vor britischen Schiffen, heute eher Segler vor Squalls. Umrahmt von sanften Hügeln und Palmen, bietet die Bucht eine ruhige, geschützte Atmosphäre. Wir ankerten für zwei Nächte, legten mit dem Dinghi an Land an und erkundeten die Ufer – inklusive einer gemütlichen Kaffeepause im kleinen Mangrovenwald, wo die Luft nach Salz, Erde und Kaffee duftete. Besser geht’s nicht.
Natürlich läuft auch hier nicht immer alles glatt. Ein einheimischer Früchteverkäufer kam paddelnd auf seinem Kajak vorbei. Ein eigentlich schöner Service, direkt vom Wasser aus. Doch die Preise, die er uns da aufzurufen versuchte, waren jenseits von Gut und Böse. Mit ein bisschen karibischer Freundlichkeit, gepaart mit Jakobs Klarheit, wurde dem guten Mann aber recht schnell klar gemacht, dass wir keine Anfänger sind. Preis runter, Lächeln rauf. Am Ende hatten beide Seiten etwas davon. Und wir? Wieder ein bisschen geübter im karibischen Feilschen. 😄
Unsere letzte gemeinsame Etappe führte uns nach Rodney Bay. Im Vergleich zu den vorherigen Ankerplätzen eine echte Großstadtbucht. Riesig, offen, mit viel Platz zum Ankern und einer kompletten Marina samt Restaurants, Shops und einem langen Sandstrand. Die perfekte Kulisse, um die gemeinsame Zeit entspannt ausklingen zu lassen.
Natürlich wurde auch hier nicht nur gefaulenzt: Wir machten uns zu Fuß auf den Weg zum Fort Rodney. Einer alten britischen Befestigungsanlage mit einem beeindruckenden Blick über die Nordspitze von St. Lucia. Der Aufstieg war schweißtreibend, aber die Aussicht belohnte jeden einzelnen Tropfen.
Für unsere abenteuerlustigen kleinen Crewmitglieder wurde es nochmal spannend: Wir suchten – und fanden! – einen der beiden versteckten GeoCaches, die es in der Gegend gibt. (Beim zweiten müssen wir wohl nochmal nachbessern… oder den Kompass neu kalibrieren. 😄)
Diese letzte Station unserer Familienzeit auf St. Lucia fühlte sich ein bisschen an wie der passende Abschluss eines prall gefüllten Abenteuers: Das quirlige Leben der Stadt, die Weite der Bucht, das Wissen, dass man bald wieder auseinandergeht und gleichzeitig die Dankbarkeit für alles, was man gemeinsam erleben durfte.
Und das Beste: Zehn Leute an Bord – davon sechs Kinder –, und keiner wollte sofort wieder runter. Platz, Harmonie und Lachen gab es genug. Es war eine wuuuuunderbare Zeit!
Dann war es Zeit, sich zu verabschieden. Ganze 14 Tage waren wie im Flug vergangen. Es war harmonisch, lebendig, bunt, chaotisch-schön und einfach mega super toll, ein Stück unserer Reise mit der Familie geteilt zu haben. Es wurde gelacht, geplanscht, geschnorchelt, gekocht, gestaunt, erzählt und gemeinsam entdeckt. Unsere Mädels waren selig mit ihren Cousins und ihrer Cousine, und für uns war es ein Geschenk, diesen Abschnitt nicht nur zu viert zu erleben. Hubi, přeco zaso rady!!! 😀
Für unsere Gäste ging es dann mit einem Taxi quer über die Insel – vom Norden wieder in den Süden – zurück zum Flughafen in Vieux Fort. Der Abschied fiel schwer, aber wir wissen alle: diese gemeinsamen Erinnerungen bleiben.
Wir blieben noch zwei weitere Tage auf St. Lucia, ließen die Erlebnisse sacken, tankten nochmal Sonne, proviantierten und bereiteten uns auf das nächste Kapitel unseres Abenteuers vor: Martinique. Eine für uns neue, spannende Insel, die bereits am Horizont auf uns wartete.