Nach einer kurzen, aber intensiven Überfahrt von Cumberland Bay, St. Vincent, war es soweit: St. Lucia lag vor uns. Die nächste Insel, die wir auf unserem Segelabenteuer ansteuerten. Ganze vier Wochen verbrachten wir hier. Eine lange Zeit, doch es verging wie im Flug.

Schon bei unserer Ankunft in Soufrière, knapp zwei Wochen bevor mein Bruder mit seiner Familie zu Besuch kam, hatten wir das Gefühl: Hier stimmt einfach alles.
Wir lagen mit unserer Popucu direkt vor dem Petit Piton, dem kleineren der beiden Vulkangipfel im Süden der Insel. Diese dramatische Kulisse, sattgrüner Regenwald, steil aufragende Felsformationen und das türkisblaue Meer, zog uns sofort in ihren Bann. Die Pitons, Petit und Gros, sind nicht nur UNESCO-Weltnaturerbe, sondern ein echtes Naturwunder, das in seiner Wildheit und Schönheit kaum zu übertreffen ist.

Morgens, noch vor dem Frühstück, standen wir oft an Deck und beobachteten ein ganz besonderes Schauspiel: die lokalen Fischer bei ihrer Arbeit. Die Fischerboote sind klein, meist schmal und bunt gestrichen, fast wie Kanus. Angetrieben werden sie teils mit Paddeln, teils mit Außenbordern. Doch das wirklich Faszinierende ist die Art, wie die Männer auf diesen Booten stehen. Aufrecht, ruhig, mit einer Körperbeherrschung, als wären sie Teil des Bootes selbst. Kein Wackeln, kein Zögern, nur totale Balance auf der Wasseroberfläche.
Ihre Netze und Köder sind schlicht, aber raffiniert: lange Palmwedel, frisch geschnitten, dienen nicht nur als Köder, sondern auch als Werkzeug zur Fischlenkung. Mit rhythmischen Bewegungen schlagen sie die Palmblätter aufs Wasser, um die Fische in eine bestimmte Richtung zu treiben. Meist in Richtung eines Netzes oder einer natürlichen Bucht. Das Ganze wirkt fast meditativ, mit einer tiefen Verbundenheit zur Natur und dem Meer. Unsere Mädels waren genauso fasziniert wie wir. Manchmal standen wir alle schweigend da und staunten einfach nur.

Fast jeden Morgen kam er langsam herangeschaukelt: Jaroul, ein älterer, gemütlicher Mann mit langen Rastazöpfen und einem Boot voller frischer Früchte und Gemüse. Mangos, Papayas, Bananen, Süßkartoffeln, Limetten. Alles glänzte und lachte uns förmlich entgegen.
In der karibischen Inselwelt ist es ganz normal, dass einige Einheimische das Wasser als ihre Lebensader sehen und als ihre Chance, ein kleines Geschäft aufzubauen. Mit ihren oft bunt bemalten Holzbooten fahren sie von Segelboot zu Segelboot, rufen ihre Ware aus und bieten alles an, was das tropische Herz begehrt (oder auch Touren auf den Inseln).
Verhandeln gehört zum Spiel. Die Preise, die zuerst genannt werden, sind… nun ja, ambitioniert. 😄 Aber das gehört einfach dazu. Wie ein freundlicher Tanz aus Lächeln, Feilschen und gegenseitigem Respekt. Irgendwann findet man sich in der Mitte und manchmal gibt’s noch ein paar Mangos obendrauf.

Was uns dabei immer wieder auffiel,Jakob hat ein ganz besonderes Gespür für Menschen. Er kam schnell in herzliche Gespräche mit den fliegenden Händlern. Egal ob jung oder alt, nach ein paar Minuten wurde er fast immer mit einem breiten Lächeln und einem “My brother!” oder “Rasta-man!” begrüßt. Wahrscheinlich liegt das nicht nur an seiner offenen Art, sondern auch ein bisschen an seinen Locken, die wohl als stilles Erkennungszeichen durchgehen. 😉
Auch Jaroul war einer von denen, die eine echte Verbindung aufbauten. Einmal meinte er zu Jakob: „I really like that you always wish me a successful day, man. That means a lot.“
So einfach und doch so vielsagend. Diese kleinen Gesten, ein paar ehrliche Worte, ein echter Blickkontakt – sie machen den Unterschied. Nicht nur für uns als Reisende, sondern auch für die Menschen hier, die jeden Tag versuchen, etwas Geld zu verdienen, mit der Sonne leben und mit Gästen aus aller Welt umgehen.
Und von ihnen lernt man schnell auch eine andere Sicht aufs Leben: Hier regnet es nicht. Hier gibt es “Liquid Sunshine”(flüssiger Sonnenschein). Ein kurzer, warmer Schauer? Kein Problem. Einfach ein Segen von oben. Danach glänzt alles ein bisschen mehr: die Pflanzen, das Meer, die Gesichter. Dieses Lebensgefühl: entspannt, freundlich und immer mit einem Augenzwinkern, hat uns tief beeindruckt.

Auch die Rangers, die Bojen-Kontrolleure, denen die fest installierten Mooring-Bojen gehörten, wurden in kürzester Zeit zu vertrauten Gesichtern. Bei ihren täglichen Kontrollfahrten tuckerten sie oft zweimal am Tag durch die Bucht. Und fast immer legten sie einen kleinen Stopp bei uns ein. Für einen kurzen Plausch, ein freundliches „How’s everything?“ oder einfach ein Lächeln und ein Winken.
Einmal sahen sie, dass wir die Angel draußen hatten, und blieben interessiert stehen. Einer von ihnen rief: „Hey, you want to catch something good? Try using a piece of chicken!“ Und dann, ganz locker: „But don’t forget, first fish is ours!“ Gesagt, gelacht, weitergefahren. 😂 Und glaubt es oder nicht: Noch am selben Abend zappelte tatsächlich ein wunderschöner Horse Eye Jack an unserer Leine. Unsere Mädels quietschten vor Aufregung, Jakob hatte ein breites Grinsen im Gesicht und wir alle wussten: Dieser Fisch gehört (zumindest theoretisch) unseren Freunden von der Bojenkontrolle.
Am nächsten Tag kamen sie natürlich wieder vorbei, diesmal mit besonders großen Augen. Doch anstelle des Fisches, den wir längst eingefroren hatten, nahmen die zwei lieber ein eiskaltes Bier. Das kam mindestens genauso gut an. Es wurde herzlich gelacht, angestoßen, und wir quatschten noch kurz über Fische, Bojen, Wetter und das Leben.

Diese Begegnungen sind es, die Orte wie diesen in der Karibik so besonders machen. Es sind nicht nur paradiesische Strände und Postkarten-Sonnenuntergänge, sondern vor allem die Menschen, die uns mit einem offenen Herzen begegnen. Man fühlt sich wohl, willkommen, fast ein bisschen zuhause. Nicht wie ein Tourist von der „Landseite“, sondern wie jemand, der dazugehört – zumindest für eine Weile.

Doch was wäre der Segelalltag ohne die Begegnungen mit anderen Menschen? Die Gespräche am Steg, das gemeinsame Lachen im Cockpit oder ein spontaner Sundowner auf dem Nachbarboot gehören für uns einfach dazu. Egal ob Chartercrew, auf ihrem Karibik Urlaub, oder erfahrene Langfahrtsegler mit spannenden Geschichten im Gepäck. Der Austausch ist fast immer herzlich und unkompliziert.
Unsere Mädels sind dabei wahre Brückenbauer. Sobald sie eine DACH-Flagge erspähen – ob aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz – gibt es für sie kein Halten mehr. Mit strahlenden Augen und einem entschlossenen „Los, wir wollen rüber!“ wird das SUP klar gemacht, und ehe wir uns versehen, paddeln wir schon zur nächsten Begegnung. Manchmal, ganz ehrlich, ist es für Jakob und mich ein bisschen anstrengend und gleichzeitig erfüllt es uns mit Stolz. Zu sehen, wie offen, neugierig und kontaktfreudig unsere Kinder durch diese Reise geworden sind, ist einfach wunderschön.
Diese kleinen, ungeplanten Begegnungen sind es, die das Leben an Bord so besonders machen. Sie verbinden, inspirieren und zeigen uns immer wieder aufs Neue: Wir sind nicht allein auf diesem großen, blauen Ozean. Wir sind Teil einer wunderbaren, weltumspannenden Seglergemeinschaft.

Diese Bucht und der dazugehörige kleine Strand waren unser großer Spielplatz für Erkundungen. Angefangen hat alles schon mit dem allerersten Landgang. Schwimmend und mit dem Stand-up-Board paddelten wir ans Ufer. Ein echtes Mini-Abenteuer gleich zu Beginn. Kaum angekommen, entdeckten wir in der Nähe einen riesigen Mangobaum. Obwohl die Mangosaison offiziell noch gar nicht gestartet war, warteten dort täglich drei bis fünf saftig-süße Exemplare wie durch ein Wunder am Boden auf uns. Manchmal muss man eben nur zur richtigen Zeit am richtigen Baum stehen.

Je weiter wir das Gebiet hinter dem Strand erkundeten, desto spannender wurde es. Zwischen dichtem Grün und tropischem Dickicht tauchte plötzlich eine fast mystisch wirkende Ruine auf. Nur knapp 100 Meter vom Strand entfernt. Ein verlassener Resort-Komplex, eingewachsen, überwuchert, aber voller Geschichten. Natürlich konnten wir der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick hineinzuwerfen.
Und hej… was für ein Ort! Drei großzügige Luxus-Domizile, jedes mit eigenem Infinity-Pool, der nun eher ein Froschparadies war. In einem der Apartments stand eine elegante, fast wie neu glänzende Badewanne – hätten wir sie irgendwie aufs Boot bekommen, sie wäre jetzt unsere! Im Schlafzimmer ein riesiger Holz-Deckenventilator, wie aus einem alten Kolonialfilm. Und dieser Ausblick: Palmen, weißer Strand, türkisfarbenes Meer – ein Postkartenmotiv zum Leben.
Doch die Frage ließ uns nicht los: Wie kann so ein traumhafter Ort einfach verfallen? Einige Tage später erfuhren wir von einem Einheimischen die Geschichte dahinter. Der Besitzer, offenbar kein Freund der Steuerbehörden, wurde verurteilt und das Resort dem tropischen Schicksal überlassen. Natur 1, Mensch 0. Schade drum, aber irgendwie hatte dieser verlassene Ort auch seinen ganz eigenen Zauber.

Hinter dem Grundstück ging das Abenteuer weiter. Wir fanden noch mehr Mangobäume, einen Baum voller Sternfrüchte (die, wenn aufgeschnitten, wirklich wie Sterne aussehen – ein Snack mit Showeffekt!) und ganz besonders spannend: einen Kalabaschbaum. Seine Früchte sind außen hart wie Holz, innen weich – nach dem Trocknen werden daraus traditionell Schalen, Löffel oder Musikinstrumente gemacht. Natürlich konnten wir nicht widerstehen und sammelten ein paar Kalabassen ein. Die wurden dann auf dem Boot fleißig geschrubbt, geschält und geschliffen. Unsere ganz eigenen Müslischalen, Suppenschalen und Snackschalen. Unsere Mädels waren mit Eifer dabei. Und was für ein Gefühl, das Frühstück aus der selbstgemachten Kalabass-Schale zu löffeln! Nachhaltig, handgemacht und 100 % Abenteuer.

Nach einigen Tagen hieß es: Anker auf und Segel setzen. Weiter ging es in die weltberühmte Bucht zwischen den beiden Pitons. Dort liegt ein Luxusresort der gehobenen Klasse. Und nun das Beste: Auch Segler sind dort willkommen! Der Strand war frei zugänglich und noch besser, auch die Wasserspielzeuge durften benutzt werden. Unsere Mädels waren im Paradies: Ein Trampolin im Meer, schwimmende Hängematten, Wasser-Schaukeln… alles, was das Kinderherz (und das junggebliebene Elternherz) begehrt.

Gleich neben dem Resort entdeckten wir ein wirklich traumhaftes Riff. Schnorchelmasken auf und ab ins Wasser. Es war wie in einem tropischen Aquarium. Schwärme von bunten Fischen, Papageienfische, Doktorfische, kleine bunte Korallen, und zwischendurch immer wieder ein erstaunter Blick nach links und rechts: „Hast du DAS gesehen?!“ – „Ja! Und da hinten, schau mal!“ Schnorcheln wurde zum Lieblingsnachmittagsprogramm.

Und dann war es plötzlich so weit: Wir segelten weiter Richtung Südwesten der Insel, nach Vieux Fort.. Zwei Tage vor dem Eintreffen meines Bruders und seiner Familie, direkt am Flughafen gelegen, bereit für das nächste große Wiedersehen. Doch das ist eine andere Geschichte…