Bevor wir am 25. Januar gemeinsam mit unseren französischen Freunden von der SV Aquilon nach St. Vincent aufbrachen, hieß es: Proviantieren! Obst, Gemüse und frische Eier wanderten in unsere Vorratskisten.


Der Abschied von unseren liebgewonnenen Freunden von der SV Carinya war bischen wehmütig. Doch wie das Leben unter Segeln so ist: Man weiß, irgendwo, irgendwann kreuzen sich die Wege wieder. Ganz bestimmt in einer der nächsten Buchten der Karibik.

Die Strecke von Bequia in den Süden von St. Vincent war kurz, aber nicht ganz einfach zu segeln. Der Wind stand so, dass wir ziemlich steil am Wind segeln mussten, um überhaupt in Richtung unseres Ziels – Young Island – zu kommen. Ein direkter Kurs war nicht möglich, also hieß es kreuzen und die letzten paar Meter schmeißen wir den Motor an. Doch trotz der etwas lästigen hohen Welle von der Seite war die Windstärke einfach großartig. Perfektes Segelwetter!  Nach etwa drei Stunden erreichten wir schließlich unser erstes Ziel: den Ankerplatz zwischen Young Island und St. Vincent. Für karibische Verhältnisse keine lange Strecke. Und die Freude am Segeln hat jede Welle wettgemacht.

Kaum hatten wir den Anker geworfen, bekamen wir Gesellschaft. Unsere Freunde von der SV Zoku tauchten wie aus dem Nichts neben uns auf! Was für eine freudige Überraschung. Eine neue Insel gemeinsam mit zwei befreundeten Booten zu erkunden… schöner geht’s kaum.
Am nächsten Tag machten wir uns alle zusammen auf den Weg zur Fort Duvernette, einer kleinen historischen Festung direkt neben Young Island. Der steile Aufstieg über in den Fels gehauene Stufen war für die Kinder ein echtes Abenteuer. Mit unglaublicher Leichtigkeit und Begeisterung stürmten sie nach oben, während wir Eltern ganz schön ins Schwitzen kamen, um Schritt zu halten.
Oben erwartete uns ein Panorama, das den Atem raubt. Der Blick reichte über das türkisfarbene Meer, hinüber zu Bequia und in die Tiefe der Bucht – einfach gigantisch. Die alten Kanonen und Mauern erzählten Geschichten vergangener Zeiten, während zwischen den Steinen kleine Echsen huschten und exotische Pflanzen wucherten. Besonders faszinierend: Pflanzen, die bei uns in Europa als genügsame Steingartenpflanzen bekannt sind, wachsen hier hoch oben auf Bäumen wie Misteln. Die Natur in der Karibik überrascht uns immer wieder aufs Neue.

Ein weiteres Abenteuer war unser Ausflug in die Hauptstadt Kingstown. Schon die Fahrt dorthin war ein Erlebnis für sich: Wie auf Barbados hielten wir einfach den Daumen raus und zack, hielt der nächste Minibus. Die Türen flogen auf, laute Reggae- oder Dancehall-Beats strömten aus den Lautsprechern, und obwohl es so aussah, als wäre wirklich kein Platz mehr frei, wurde einfach weiter zusammengerückt. Mit einem breiten Lächeln, einem freundlichen Nicken und einer Leichtigkeit, wie man sie wohl nur hier erlebt.
Was uns sofort auffiel und total ansteckte: Fast alle Insassen wippten im Takt der Musik mit. Die Schultern zuckten leicht und Köpfe nickten rhythmisch im Takt mit. Man konnte gar nicht anders, als mitzumachen. Diese Mischung aus Musik, Bewegung und Lebensfreude ist einfach elektrisierend. Selbst unsere Mädels fanden es „richtig cool“ und wippten begeistert mit.
Jakob saß übrigens zu dritt vorne beim Fahrer und hatte die beste Zeit! Die beiden verstanden sich blendend, und Jakob bekam nicht nur eine persönliche Stadtrundfahrt, sondern auch gleich noch erklärt, wo wir was in Kingstown finden. Die Offenheit, Freundlichkeit und der Humor der Menschen hier sind wirklich etwas Besonderes. Genau das, was die Karibik so einmalig macht.
Kingstown selbst ist laut, lebendig und voller Gegensätze. Zwischen alten Kolonialgebäuden, Kirchen und bunten Häusern reihen sich Marktstände, kleine Geschäfte und Garküchen. Es ist kein Ort, der sich herausputzt. Sondern einer, der authentisch ist und einem das wahre karibische Leben zeigt.
Wir haben den Obst- und Gemüsemarkt besucht. Ein Fest für die Sinne! Berge von Mangos, Ananas, Papayas, Bananen, Wurzelgemüse und Gewürze türmten sich an den Ständen. Dazu der Geruch von reifen Früchten, das Rufen der Verkäuferinnen und das Lachen zwischendurch, einfach herrlich. Auf dem Fischmarkt roch es nach Meer, Salz und frisch gefangenem Fisch. Manchmal nichts für zarte Nasen, aber absolut faszinierend.
Natürlich wollten wir nicht in Touristenrestaurants essen. Wir wollten wissen, wie die Menschen hier wirklich leben, was sie essen, wie sie ihren Alltag gestalten. Denn Kultur beginnt für uns oft beim Essen. Also ging es zu den Streetfood-Ständen, die überall zwischen Markt und Bushaltestellen aufgebaut sind. Einfach, ehrlich, köstlich und mit viel Liebe gekocht. Genau so lernt man ein Land kennen.

Unser Ankerplatz lag direkt zwischen Young Island und der Hauptinsel St. Vincent. Young Island ist eine kleine, private Resort-Insel, aber auch als Tagesgäste kann man sie besuchen. Und sie ist ein wahres Paradies. Palmen, weiße Strände, türkisfarbenes Wasser und eine entspannte Atmosphäre.
Wir haben die Insel gleich zwei Mal besucht. Es war einfach zu schön. Unsere Mädels konnten gar nicht genug bekommen vom Schnorcheln, Baden und Spielen im Sand. Zusammen mit den Kindern der Aquilon wurde gelacht, getaucht und getobt, bis die Sonne langsam unterging.

Nach ein paar Tagen voller schöner Erlebnisse ging es für uns weiter entlang der Westküste von St. Vincent. Unser Ziel: Cumberland Bay. Schon beim Einlaufen spürt man den besonderen Charakter dieser Bucht, umgeben von dichtem Dschungel, kleinen Hütten und dem Gefühl, mitten in der Natur zu sein.
Einige Szenen der Fluch der Karibik-Filme wurden hier gedreht. Doch die bekannteste Filmkulisse liegt etwas weiter nördlich in der Wallilabou Bay, an der wir zuvor bei der Fahrt in Richtung Vermont Rainforest Trail vorbeigefahren waren. In Wallilabou stand einst das berühmte Set des Hafens von „Port Royal“. Teile der alten Holzfassaden, Anker und Requisiten sind dort heute noch zu sehen.
Bei unserem Ausflug zum Vermont Nature Trail und dem Regenwald – ein wunderschöner Wanderweg durch üppige Natur – wollten wir auf dem Rückweg noch einen Abstecher zu diesem berühmten Drehort machen. Leider waren die Tore bei unserer Ankunft bereits geschlossen. Typisch karibisch eben: keine festen Öffnungszeiten, alles ein bisschen nach Gefühl. Doch enttäuscht waren wir nicht. Es warten noch viele Inseln auf uns, und weitere Kulissen und Drehorte von „Fluch der Karibik“ werden uns ganz sicher noch begegnen. Wer weiß, vielleicht laufen wir ja doch noch Captain Jack Sparrow über den Weg. 😂

Ein weiteres unvergessliches Abenteuer auf St. Vincent war unser Ausflug in den Vermont Nature Trail, einen der schönsten Regenwaldpfade der Insel. Schon die Fahrt dorthin war besonders. Ein freundlicher Einheimischer nahm uns mit seinem Minibus mit und begleitete uns persönlich zu einem versteckten Wasserfall, den kaum jemand kennt. Dieser Ort liegt abseits der touristischen Routen, tief im üppigen Grün des Regenwalds und genau das machte ihn so magisch.
Der Weg dorthin war ein Erlebnis für sich. Über Baumstämme, durch flache Flüsse, Matsch und dichte Vegetation und bald zogen fast alle von uns die Schuhe aus. Barfuß durch den Regenwald zu laufen, die feuchte Erde und das Moos unter den Füßen zu spüren, während über uns Lianen hängen und riesige tropische Blätter das Sonnenlicht filtern, war ein gigantisches Gefühl. Die Farben, der Duft der Pflanzen, das Zwitschern der Vögel, es war wundervoll.
Und dann rauschte der Wasserfall vor uns. Ganz für uns allein. Kein anderer Mensch weit und breit, nur wir, die Natur und das donnernde, klare Wasser, das in ein kleines Becken fiel. Wir konnten es kaum glauben – unser eigener, geheimer Dschungel-Wasserfall. 😉 Natürlich sprangen wir ins kühle Nass, lachten, genossen und konnten kaum fassen, wie wunderschön dieser Ort ist. Ein atemberaubendes, einzigartiges Erlebnis. Wild, ursprünglich, berührend. Super, super, super!

Und sonst haben wir die Zeit mit unseren Freunden genossen und noch andere Sachen hier und da erlebt und gemacht…:

Am letzten Abend auf St. Vincent, saßen Jakob und ich oben im Salon, genossen die Stille, während die Kinder schon unten schliefen. Draußen war das Cockpitlicht noch an. Noch war alles ruhig, die Nacht war warm, die Sterne leuchteten über der Cumberland Bay. Und plötzlich war da dieses dumpfe Geräusch. Ein Schlag gegen das Boot, ein leises Plätschern. Als wir beide nachsehen wollten, traf uns fast der Schlag: Auf unserer Badeplattform, halb duckt und offensichtlich darauf bedacht, nicht gesehen zu werden, saß ein fremder Mann!
Ich habe Jakob noch nie so wütend, aufbrausend und gleichzeitig so schützend erlebt. In Sekundenbruchteilen war er draußen, stellte sich dem Fremden entgegen und brüllte ihn an mit einer Wut, die selbst mir kurz Gänsehaut machte. Seine Stimme hallte über das Wasser. Laut, deutlich und ohne jeden Zweifel daran, dass der Mann hier absolut nichts zu suchen hatte. Der Eindringling, offensichtlich völlig überrascht, ließ sich wortlos ins Wasser gleiten und tauchte ab. Einfach so. Weg.
Das Nachbarboot, aufgeschreckt von Jakobs Rufen, leuchtete herüber und fragte, was los sei. Wir erklärten, dass sich jemand versucht hatte, heimlich auf unser Boot zu schleichen. Wahrscheinlich mit der Absicht, etwas zu stehlen. Ein mulmiges Gefühl breitete sich aus. Gemeinsam beobachteten wir noch eine Weile das Wasser. Wir konnten den Mann noch einmal kurz auftauchen sehen, dann verschwand er endgültig in der Dunkelheit der Bucht.

Die ganze Situation ließ uns noch lange wach liegen. Der Gedanke, dass jemand sich einfach so Zutritt zu unserem schwimmenden Zuhause verschafft, während wir noch wach waren, nur wenige Meter entfernt – war verstörend. Bisher hatten wir solche Geschichten nur von anderen gehört. Nun waren wir selbst mittendrin.
Am nächsten Morgen wollten wir ohnehin frühzeitig ablegen. Noch immer unter dem Eindruck des nächtlichen Vorfalls stand ich im Cockpit, als einer der netten Bewohner aus Cumberland ankam und uns freundlich seine Hilfe anbot, um die Landleine zu lösen. Doch ich winkte ab. In dem Moment war ich noch zu aufgewühlt und ehrlich gesagt, traute ich gerade niemandem über den Weg.
Der Mann blieb freundlich, spürte aber sofort, dass etwas nicht stimmte. Als ich ihm in ein paar knappen Worten erzählte, was in der Nacht geschehen war, nickte er verständnisvoll. Er berichtete, dass seit einiger Zeit ein Fremder – offenbar ein Zugezogener – in der Gegend unterwegs sei. Seitdem komme es immer wieder zu Vorfällen in der Bucht. Es sei nicht typisch für Cumberland, betonte er. Doch dieser Mann treibe dort sein Unwesen.
Und als wäre das alles noch nicht genug gewesen, erfuhren wir später von Freunden, dass in genau dieser Nacht auf einem anderen Boot in der Bucht tatsächlich eingebrochen wurde. Ein Laptop und Bargeld wurden gestohlen. Uns wurde plötzlich klar, wie knapp wir vielleicht einem noch größeren Schaden entgangen waren.
Auch wenn es sich vermutlich „nur“ um eine Einzelperson handelt, hat uns das Erlebnis gezeichnet. Die Cumberland Bay, die wir als wildromantischen Ort mitten in der Natur erlebt hatten, bekam für uns einen anderen Beigeschmack. Wir sind uns heute nicht sicher, ob wir diese Bucht jemals wieder ansteuern werden.
Solche Erlebnisse gehören leider manchmal auch zum Seglerleben dazu. Sie machen einen vorsichtiger, vielleicht auch etwas weniger naiv. Aber sie nehmen einem nicht die Freude am Reisen. Denn das Vertrauen in die große Gemeinschaft der Segler, die Hilfsbereitschaft und das Teilen von Erfahrungen, all das hat uns in dieser Nacht ebenso getragen wie unsere eigene Wachsamkeit.
Und trotzdem bleibt es dabei: Ein bisschen mehr abgeschlossen, und wir schlafen wieder ruhiger.

Trotz dieses Zwischenfalls bleibt St. Vincent für uns ein Ort voller starker Eindrücke. Intensiv, bunt, lebendig. Die Insel hat uns mit ihrer wilden Natur, dem dichten Regenwald, herzlichen Begegnungen und der echten karibischen Lebensfreude beeindruckt. Wir haben geschnorchelt, gelacht, getanzt, Berge erklommen und in versteckten Wasserfällen gebadet. Unsere Mädels haben neue Freundschaften geknüpft, wir Erwachsene uns inspirieren lassen von der Natur genauso wie von den Menschen.

Ja, diese eine Nacht hat Spuren hinterlassen. Sie hat uns wachgerüttelt und daran erinnert, dass Freiheit auch Verantwortung bedeutet. Für uns selbst, unsere Familie und unser schwimmendes Zuhause. Aber sie hat uns nicht die Freude am Segeln genommen. Im Gegenteil. Vielleicht hat sie uns sogar noch ein bisschen mehr zusammengeschweißt.
Denn genau darum geht es auf dieser Reise: um all die Facetten. Um das Staunen, das Wachsen, das Lernen. Um die lauten, fröhlichen Tage genauso wie die stillen, nachdenklichen Momente. Um das Gefühl, wirklich unterwegs (popucu) zu sein.

Mit einer Prise Respekt und noch ein bisschen mehr Erfahrung im Gepäck setzen wir also die Segel und lassen Cumberland Bay hinter uns. Wohin? St. Lucia. 🙂